„Gefühlvoll abbremsen, die Straße ist vereist! Wenn Du hier zu heftig bremst, überholt Dich Dein Anhänger!“ Die Stimme hört Walid Mohammad zwar, aber er ist zu konzentriert, den schlingernden LKW auf der Bergabfahrt in der Spur zu halten. Dauernd blockieren die Reifen, das ABS rattert, und durch den Schneefall sieht er die Scheinwerfer eines entgegenkommenden PKW auf sich zurasen. Ausweichen ist unmöglich, denn rechts geht es einen steilen Hang hinunter. Kurz vor der engen Haarnadelkurve kommt sein Gelenkzug zum Stehen. „Dankeschön, sehr gut gemacht!“ klingt es aus dem unsichtbaren Lautsprecher über ihm. Das Licht geht an, und die Fahrt im LKW-Fahrsimulator ist beendet. Herr Mohammad ist einer von 24 Migranten aus 6 Nationen, die in der DEULA Westfalen-Lippe eine Qualifizierungsmaßnahme zum Berufskraftfahrer machen. Beauftragt wurde die Maßnahme vom Jobcenter Kreis Warendorf.
Walid Mohammad (43) kommt aus dem kurdischen Teil Syriens. Acht Monate lernt er schon in der DEULA. Jeden Tag. Zuhause war er Polizist, hier in Deutschland sieht er seine Zukunft als Berufskraftfahrer.
Fünf Monate bleiben ihm noch, bis er hoffentlich seine Abschlussprüfung besteht. Dabei ist die DEULA-Fahrschule nur der kleinere Teil dessen, was auf die Männer aus Eritrea, Iran, Irak, Mali, Sudan und Syrien an Lernstoff zukommt. Sozialkompetenz und die Fähigkeit zum Umgang mit den oft schwierigen Arbeitsbedingungen sind gefragt. Die Männer sehen sich mit Dingen konfrontiert, die es da, wo sie herkommen, nicht gibt: Vereiste Straßen, zum Beispiel. LKW-Kontrollen durch die Bundespolizei. Komplizierte Ladungssicherungsvorschriften. Arbeits- und Lenkzeitregelungen. Mohammads Ziel ist die Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer zum Berufskraftfahrer EU. Unzählige Fragen in Multiple Choice, aber auch offene Prüfungsfragen kommen dabei auf ihn zu – natürlich in Deutsch. DEULA-Lehrer Klaudius Freiwald betreut für die DEULA das Qualifizierungsprojekt. „Wir bereiten die Männer nicht nur berufsfachlich auf jede erdenkliche Situation vor. Sie müssen auch mit ihrem Chef sprechen können, mit dem Kunden, mit Kollegen und auch mit der Polizei.“
Die Fahrten im Simulator sind dabei natürlich nur ein Baustein. Um damit überhaupt arbeiten zu können, ist zunächst einmal die Schulung der Sprachkompetenz wichtig. Denn die kurzen, knappen Kommandos des Fahrlehrers müssen nicht nur in der Sekunde verstanden, sondern dann auch noch spontan umgesetzt werden. „Stellen Sie sich vor, sie müssten in Syrien oder im Irak Fahrunterricht nehmen“, erklärt Freiwald. „Der Fahrlehrer erklärt ihnen auf Arabisch die Verkehrssituation und sie müssen darauf reagieren. So ungefähr fühlen sich unsere Teilnehmer am Anfang. Deshalb steht sprachliche Qualifikation über allem.“ Die DEULA-Lehrer achten darauf, dass die Teilnehmer untereinander Deutsch sprechen. Sobald die Kommunikation gesichert ist, geht es aber auch hinters Lenkrad. Erst in PKW, dann in Bullis und schließlich in echten LKW. Zunächst nur auf dem großen Rangierhof der DEULA. Rückwärts einparken, um die Ecke zurücksetzen, richtig ankoppeln, Ladebrücken wechseln und eben alles, was zum Arbeitsalltag gehört. Auch der Umgang mit dem Gabelstapler wird geübt.
Das Jobcenter in Warendorf richtet sich mit dieser Maßnahme nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Obwohl der Schwerlastverkehr in Deutschland immer weiter zunimmt, nimmt die Zahl der Berufskraftfahrer nämlich kontinuierlich ab. Der dringend benötigte Nachwuchs ist schwer zu bekommen. Die Arbeit gilt als hart und stressig. Bei vielen männlichen Migranten in Deutschland ist der Beruf des „Truckers“ allerdings ein Traumjob. Auch wenn viele von ihnen weder den nötigen Führerschein noch die entsprechende Berufsausbildung haben. „Wir wollen marktgerecht qualifizieren“, erklärt Dr. Ansgar Seidel, Leiter des Warendorfer Jobcenters. „Von den Speditionen wissen wir, dass sie SGB II-Empfänger mit Fluchthintergrund gerne übernehmen, wenn wir für das notwenige Fachwissen zum Einstieg in den Beruf sorgen.“
Es war ein weiter Weg von den ersten Integration Points, die vor Jahren von der Arbeitsagentur Ahlen-Münster eingerichtet wurden bis zu dieser besonderen Maßnahme der DEULA, die aus Migranten fachlich kompetente Berufskraftfahrer macht. Sozialdezernentin Brigitte Klausmeier hierzu: „Die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und DEULA in dieser Maßnahme führt dabei zu überdurchschnittlich guten Vermittlungsquoten. Wer als Geflüchteter diese Qualifizierung durchläuft, hat allerbeste Chancen mit einem ordentlichen Lohn auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen!“
Jobcenter und DEULA sehen hier die Verantwortung gegenüber ihren Schützlingen: „Wir versuchen ganz praktisch so viel fachliche Erfahrung wie irgend möglich in den 12 Monaten zu vermitteln. Denn irgendwann sind die Männer allein im Führerhaus, verantwortlich für sich selbst, einen 30-Tonnen-LKW und die Menschen in ihrer Umgebung. Dann müssen sie was draufhaben!“ Klaudius Freiwald nimmt das sehr ernst. Walid Mohammad und seine Kollegen auch.